Seit einem guten Jahr ist Nika Potapova in Deutschland. Die heute 20-Jährige floh vor dem Krieg in der Ukraine. Als Mitglied der Ukrainischen Kletter-Nationalmannschaft hat sie Verbindungen in die ganze Welt und kam zunächst in Erlangen bei Alex Megos unter.
Inzwischen hat sie eine eigene Wohnung und sich ganz gut eingelebt. Dabei geholfen hat ihr auch ihr hohes Traniningspenum: einmal pro Woche trainiert sie Lead und mindestens fünf mal wöchentlich Bouldern oder Krafttraining. Das Leadtraining absolviert sie – manchmal gemeinsam mit Teamkollegin Anastasiia Kobets – häufig in der DAV Sparkassen Bergwelt.
Sie kommt gerne in die Erlanger DAV-Kletterhalle – und erzählt im Interview von der Situation zu Hause, ihrem bemerkenswerten Werdegang und ihren Zielen.
Woher in der Ukraine kommst du?
Nika: Ich komme aus der kleinen Stadt Ukrainka (20.000 Einwohner). Das ist ein wirklich schöner Ort etwa 40 Kilometer südlich der Hauptstadt Kiew, der an einen großen Wald grenzt.
Wie ist die Situation derzeit in deiner Heimatstadt?
Nika: Im Moment ist es dort sehr gefährlich – nicht nur bei uns zu Hause. Überall werden Städte zerstört, Menschen sterben… Die Russen hören nicht auf, mein Land, meine Heimat anzugreifen. Daher mein Apell an alle: Wenn du die Möglichkeit hast zu helfen, dann hilf! Selbst ein Cent, den du schickst, kann ein Leben retten!
Warum bist du hier und trainierst in unserer Kletteranlage? Wohnst du zurzeit in Erlangen?
Nika: Im Februar 2022 war ich mit der Nationalmannschaft in einem Trainingslager, am 24. wollte ich morgens in die Halle gehen, aber unsere Trainer haben das Training abgebrochen, weil wir laute Geräusche hörten. Es waren Raketen, die in der Stadt einschlugen. Noch am selben Tag fuhr ich zurück in meine Heimatstadt, und nach einer Woche ohne Training beschloss ich, nach Deutschland zu fahren. Ich hatte schon immer geplant, irgendwann nach Deutschland oder Österreich zu gehen, weil es dort bessere Trainingsmöglichkeiten gibt. Der Krieg hat das jetzt beschleunigt.
Im Moment lebe ich in Erlangen und bin wirklich froh, dass ich hier die Möglichkeit habe, an den tollen Routen der DAV Sparkassen Bergwelt zu trainieren. Ich bin hier, um mich für internationale Wettkämpfe wie Weltcups und Weltmeisterschaften zu verbessern und mich auf die kommende Saison vorzubereiten. Besonders cool sind die neuen Routen von Dirk. Sie machen Spaß, haben aber zum Teil sehr weite Züge für meine Größe (lacht). — Nika ist 1,55 m groß, Anm.d.Red —
Ist die Ukraine ein „Kletterland“?
Nika: Nein, Klettern ist in der Ukraine nicht so bekannt und auch nicht so beliebt wie in Deutschland. Wir haben dort nicht so viele Möglichkeiten, auf Weltniveau zu trainieren, deshalb verbringe ich die meiste Zeit des Jahres damit, um die Welt zu reisen und verschiedene Kletterhallen und Felsen zu besuchen.
In Kiew gibt es schon Kletter- und Boulderhallen, , aber es sind nicht viele und nicht so gut geschraubt, wie hier. Dort kann man nicht so vielfältige Moves trainieren. In den letzten Jahren hat sich das verbessert – aber der Krieg hat diese Entwicklung wieder gestoppt.
Es gibt auch keine Vereine wie den DAV, Kletterhallen sind in der Regel kommerzielle Einrichtungen, aber es gibt schon eine Art Zusammenschluss von Kletterern aus verschiedenen Gebieten. Das ist vielleicht mit einem Verein vergleichbar.
Wie populär ist der Sport dort?
Nika: Klettern ist kein populärer Sport in der Ukraine, aber seit ein paar Jahren wird es besser, neue Sporthallen wurden eröffnet. Wir haben einige starke Leute im Team, wie Jenya Kazbekova oder Danyil Boldyrev (Weltmeister). Aber im Moment ist es wegen der schwierigen Zeit in meinem Land nicht mehr möglich, wirklich Fortschritte zu machen. Ich hoffe, dass der Krieg in naher Zukunft vorbei ist und das Klettern in der Ukraine wieder aufblühen wird!
Wie sieht es mit der Talentsuche und -förderung aus?
Nika: Wie ich schon sagte, ist der Sport nicht populär. Im Moment gibt es nicht viel Unterstützung für Kletterer. Aber wir haben einige Sporthallen, in denen man Grundlagen und Kraft trainieren kann. Ich hoffe, dass das Klettern in Zukunft ein neues Niveau erreichen wird und wir mehr Trainingsmöglichkeiten haben werden.
Ist Klettern als Schulsport etabliert?
Nika: Normalerweise nicht. Aber es wäre toll – schließlich ist es ein beliebter Sport auf der ganzen Welt, den man so fördern könnte.
Wie bist du dann zum Klettern gekommen?
Nika: Irgendwie bin ich schon immer geklettert. Als Kind liebte ich es, auf Bäume zu klettern – ich habe viel Zeit dort verbracht, gesessen und geträumt.
Irgendwann fing eine Freundin von mir an, in eine Kletterhalle zu gehen – und ich ging mit. Zu dieser Zeit gab es dort drei Gruppen: Anfänger, Fortgeschrittene und eine Art von „Profis“. Nach der ersten Trainingseinheit wurde ich gefragt, ob ich in die „Profigruppe“ eintreten wolle. Ich erreichte sehr schnell ein hohes Niveau: Nach einem Jahr kletterte ich meine erste 8a, dann meine erste 8c mit 13 Jahren in Slowenien („Strelovod“). Bei der 9a war ich 16 („Fuck the system“, Spanien). Seit elf Jahren klettere ich professionell: mit 14 Jahren bin ich in die Jugendnationalmannschaft eingetreten, mit 16 zusätzlich in den Erwachsenenkader. Da ich gerade 20 geworden bin, klettere ich jetzt nur noch im Erwachsenenteam.
Wo kann man in der Ukraine gut outdoor klettern?
Nika: Da gibt es nicht so viele Möglichkeiten. Richtig gut klettern kann man auf der Krim, die war ein wirklich schöner Ort mit unglaublichen Felsen. 2014 hat Russland die Krim eingenommen, weshalb ich seitdem dort nicht mehr klettern konnte. Aber ich hoffe, dass dieser schöne Ort bald wieder zur Ukraine gehören wird!
Was bedeutet Klettern für dich?
Nika: Ich liebe das Klettern, weil ich überall auf der Welt an Wettkämpfen teilnehmen kann. Ich liebe es, verschiedene Städte, Länder und Menschen kennen zu lernen. Ich lebe meinen Traum!
Wie soll es in Zukunft bei dir weitergehen?
Nika: Sportlich ist mein nächstes großes Ziel, mich für Olympia zu qualifizieren – da wäre ich dann die erste ukrainische Kletterin! Am liebsten klettere ich Lead, aber für das Bouldern muss ich am härtesten trainieren, da ich sehr klein bin und für viele Boulder meine eigene Lösung brauche. Zum Glück ist Speed jetzt rausgefallen, das finde ich langweilig, weil man immer dieselbe Route klettern muss.
Und nach dem Klettern? Vielleicht was in Richtung Physiotherapie, das würde mich interessieren.